Aus der Krise lernen - die Zukunft gestalten

In der Corona-Krise ist offensichtlich geworden, dass bildungspolitischer Anspruch und Schulwirklichkeit oft noch weit auseinanderklaffen. Wir wollen mit diesem Aufruf dazu beitragen, die Krise als Chance zu sehen und zum Anlass zu nehmen, unser Bildungssystem zukunftsfähig zu machen. Erforderlich ist eine grundlegende Bildungsreform.

Nachdem der Bundesvorstand im August 2020 den Aufruf zu einer grundlegenden Bildungsreform formuliert hatte, diskutierte der GGG-Hauptausschuss Konsequenzen daraus und formulierte hierzu

10 zentrale Impulse für das Bildungssystem

Lesen Sie die Stellungnahme, die in einer Kurz- und einer Langfassung vorliegt.

Aufruf: Aus der Krise lernen - die Zukunft gestalten

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Aus der Krise lernen - die Zukunft gestalten

In der Corona-Krise ist offensichtlich geworden, dass bildungspolitischer Anspruch und Schulwirklichkeit oft noch weit auseinanderklaffen. Wir wollen mit diesem Aufruf dazu beitragen, die Krise als Chance zu sehen und zum Anlass zu nehmen, unser Bildungssystem zukunftsfähig zu machen. Erforderlich ist eine grundlegende Bildungsreform.

 Aus der Krise lernen - die Zukunft gestalten

 Die Erfahrungen aus der Zeit der Schulschließungen und der Wiedereröffnung der Schulen haben uns erneut klar gemacht, dass neben wirtschaftlichem Wachstum und materiellem Erfolg zum Gelingen und insbesondere zum sozialen Zusammenhalt einer demokratischen Gesellschaft weitere Fähigkeiten dringend erforderlich sind: u.a. im sozialemotionalen Bereich, in Bezug auf Demokratiebildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und kulturelle Bildung.

Besonders wichtig ist uns dabei, dass in der Schule der Zukunft Partizipation auch als Beteiligung an Entscheidungen über eigenes Lernen im Vordergrund steht. Dazu müssen Schülerinnen und Schüler vom Eintritt in die Schule bis zum Verlassen des Systems Zeiten und Freiräume haben. Sie brauchen Unterstützung, Bestärkung und Erfahrung beim Verfolgen eigener Lernwege und Lernideen. Das stärkt ihre Selbstwirksamkeit und ihre Resilienz. Dabei muss nicht alles neu erfunden werden. Es gilt, vorhandene Schätze in den Schulen zu heben und die vielfältigen Erfahrungen zwischen den Schulen auszutauschen.

Die entscheidenden Fragestellungen lauten:
  • Was können und sollen junge Menschen in der Schule wirklich lernen?
  • Was ist essentiell für einen solidarischen Umgang miteinander, für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur, für ein erfülltes, gelingendes Leben als selbstbestimmtes Mitglied einer demokratischen Gesellschaft?
  • Wie muss ein den Menschenrechten verpflichtetes und einer demokratischen Gesell-
    schaft angemessenes Schulsystem aussehen?

Zurzeit ist noch offen, wann die Krise überwunden wird und wieder ein normaler Schul-
betrieb möglich sein wird.

Wir verzichten hier darauf, konkrete Übergangsszenarien zu beschreiben,

weil dafür gute Anregungen von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Schule in Zeiten der Pandemie – Empfehlungen für die Gestaltung des Schuljahres 2020/211), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Leitlinien: Kurz- und langfristige Perspektiven für den Umgang mit der Corona-Pandemie im Schulbereich) vorliegen.

Die Petition „Güterabwägung in der Krise“ an den Bundestag, die Hans Brügelmann u.a. auf den Weg gebracht haben, wird von der GGG als Erstunterzeichnerin unterstützt.

Kernforderungen der GGG

Wir müssen über Versäumtes und falsch gesetzte Prioritäten in der Bildungspolitik nachdenken und durch bewusstes Aufarbeiten schließlich ein (neues) Verständnis von Bildung und Lernen in den schulischen Alltag aller Schulen integrieren. Die erforderlichen Veränderungen sind nur in der einen gemeinsamen Schule für alle realisierbar. Eine Schule für alle sieht Heterogenität und Andersartigkeit von Menschen nicht als Belastung, sondern als Potential auf dem Weg einer Gesellschaft der Vielfalt und Teilhabe aller. Lehreraus- und fortbildung müssen Lehrkräfte darin befähigen und dabei unterstützen, die Verschiedenheit von Kindern annehmen zu können, produktiv wirksam werden zu lassen und allen Schülerinnen und Schülern erfolgreiche Lernprozesse zu ermöglichen.

Eine solche Umsteuerung erfordert Vertrauen, gegenseitige Wertschätzung, Offenheit und Respekt zwischen allen beteiligten Gruppen in Schule und der Bildungspolitik. Begonnen werden muss damit sofort, wohl wissend, dass der erforderliche Paradigmenwechsel Zeit braucht.

Deshalb fordern wir zu einer grundlegenden Bildungsreform auf.

Unser Aufruf richtet sich an alle, die in Bund und Ländern bildungspolitische Verantwortung tragen. Darüber hinaus sprechen wir diejenigen an, die von den Entscheidungen zum Bildungssystem direkt betroffen sind aber auch jene, die in Bildungsverwaltung, Verbänden und Initiativen die Entscheidungsfindungen begleiten.

Wir fordern als GGG eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Schule und Bildung und werden uns daran aktiv beteiligen.


Für den Bundesvorstand
Gerd-Ulrich Franz
Vorsitzender
Im August 2020

10 zentrale Impulse für das Bildungssystem

 10 IMPULSE - KURZVERSION  10 IMPULSE - LANGVERSION

Zehn zentrale Impulse für das Bildungssystem

Kurzversion
Stand: Oktober 2020

I. Die neue Schule nach Corona

1. Impuls: Bildungsbenachteiligung mindern, das Schulsystem bildungsgerecht gestalten!

>Die in der Pandemie erneut und für alle deutlich gewordene Bildungsbenachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft muss endlich überwunden werden. Das gemeinsame Lernen in heterogen zusammengesetzten Lerngruppen eröffnet neue Horizonte und erweist sich als stützende Struktur. Der formal gerecht erscheinende Ansatz „alle Schulen gleich zu behandeln“ muss abgelöst werden durch den Grundsatz „Ungleiches ungleich behandeln“. Erforderlich ist eine aufgabenangemessene, schülerorientierte Stellen- und Ressourcenzuweisung.

2. Impuls: Schule und „Unterricht“ in neuen Strukturen und mit neuen Prioritäten denken!

Zentraler Bestandteil des erforderlichen Paradigmenwechsels muss der Verzicht auf eine selektive Orientierung im Schulsystem sein. Jede Schule ist für ihre Schülerinnen und Schüler von der Aufnahme bis zum Schulabschluss verantwortlich mit dem Ziel, alle zum bestmöglichen Schulabschluss zu führen. Fördern, fordern und gemeinsam lernen statt Konkurrenz und Selektion sind Orientierungen für alle inklusiven Schulen.

II. Schülerinnen und Schüler stärken

3. Impuls: Schülerinnen und Schüler zu selbstbestimmtem, selbstständigem Lernen und eigenverantwortlichem Handeln befähigen!

Die Lösung der Gegenwarts- und Zukunftsprobleme wird nur mit mutigen, kreativen und am Gemeinsinn orientierten Menschen gelingen. Gebraucht werden Kompetenzen wie lösungsorientiertes Denken, Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und die Kraft zur Reflexion und Partizipation. Um diese zu entwickeln, bedarf es demokratisch gestaltbarer Freiräume in den Bildungsprozessen. So werden Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht.

4. Impuls: Lernstände dokumentieren – Lernfortschritte bewerten!

Die wissenschaftliche Forschung hat schon seit langem die Überlegenheit einer formativen, lernprozessbegleitenden Leistungsrückmeldung für den Lernerfolg belegt. Viele Schulen haben den grundlegenden Widerspruch erkannt, der entsteht, wenn in inklusiven Lerngruppen und in alternativen Lernorganisationen genormt getestet und mit vergleichenden Ziffernnoten bewertet werden soll. Das Kategorisieren und Einordnen durch Zensuren fördern ständigen Vergleich und Konkurrenz. Zur Bewältigung der Herausforderungen in einer demokratischen Gesellschaft ist jedoch individuelle Emanzipation, Zusammenarbeit und Solidarität gefordert.

5. Impuls: Alle Schulen, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte mit einer zeitgemäßen Digitalausstattung versehen - aber das Lernen mit digitalen Medien nicht überbewerten!

Wir halten es für zwingend geboten, jetzt alle Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte mit den digitalen Voraussetzungen auszustatten. Diese gehen einher mit einer kritischen Reflexion und einem daran orientierten Umgang mit den digitalen Medien. Wir widersprechen ausdrücklich der häufig geäußerten Euphorie, mit einer entsprechenden Ausstattung sei die Schule schon zukunftsfähig und die herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligung aufgehoben.

III. Schulen ermutigen und Freiräume schaffen

6. Impuls: Lehrpläne entschlacken und Freiräume für die pädagogische Gestaltung ermöglichen!

>Die Schulen benötigen Vertrauen und Freiräume zur Entfaltung ihrer pädagogischen Zielsetzungen und zur Erfüllung ihrer Zukunftsaufgaben. Die von uns vorgeschlagene Kürzung der Lehrpläne bezieht sich ausschließlich auf die Menge und nicht auf die qualitativen Anforderungen.

7. Impuls: Schule als gebundene Ganztagsschule, als Lern- und Lebensort einrichten!

Die Schulen sind für unsere Schülerinnen und Schüler vor allem deren zentraler Lern- und Lebensort. Der damit verbundene Anspruch auf pädagogische Beziehung, soziale Begegnung und wertschätzendes Miteinander ist nur dann wirklich einzulösen, wenn alle Schulen zu gebundenen Ganztagsschulen weiterentwickelt werden. Dafür muss zusätzliches professionelles Personal für den Ganztag zur Verfügung gestellt werden.

8. Impuls: Mit der Eigenverantwortlichkeit/Autonomie von Schulen ernst machen!

Die Expertise vor Ort sowohl für organisatorische, personelle als auch pädagogische Erfordernisse muss unbedingt wertgeschätzt und in noch größerem Umfang fruchtbar gemacht werden. Dies erfordert eine an den Aufgaben der Schulen orientierte Finanzierung.

IV. Eltern gewinnen

9. Impuls: Elternmitwirkung würdigen und stärken!

Über eine Änderung der Rahmenbedingungen von Schulgesetzen und Verordnungen auf allen schulischen und schulpolitischen Ebenen sind die Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern unbedingt zu stärken. Damit die Eltern ihre Mitwirkungsrechte wahrnehmen können, müssen sie unterstützt und dazu befähigt werden.

V. Lehrkräftebildung reformieren

10. Impuls: Lehrkräftebildung an den Anforderungen heutiger und künftiger Schulen orientieren!

Die GGG fordert einen Paradigmenwechsel in Schule und Bildung hin zu mehr Partizipation und selbstbestimmten Lernen ebenso wie einen kompetenten Umgang der Lehrkräfte mit Heterogenität und Digitalisierung. Dies erfordert eine fundamentale Neuorientierung und einen enormen Ausbau der Lehrkräftebildung.

Für eine zukunftsfähige Gesellschaft muss die Bildungsfrage heute absolute Priorität haben. Bildungsinvestitionen sind Investitionen in die Zukunft. Der an den Zielen orientierte Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel und die erforderlichen Prioritäten dafür müssen bei allen Bildungsentscheidungen immer mit im Blick sein. Dass dies möglich und richtig ist, zeigen uns andere Nationen.