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Mit der Niederlage der Schulreformer beim Hamburger Volksentscheid ist aus Sicht des Bildungsforschers Andreas Schleicher der Einstieg in ein besseres Schulsystem verpasst worden.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 20. Juli 2010

"Prinzipiell steht diese Reform durchaus in Einklang mit dem, was in Ländern mit einem erfolgreichen Bildungssystem geleistet wird", sagt der Fachmann für internationale Vergleiche von Schulleistungen, bekannt als Pisa-Studien, am Montag. Am Sonntag war in Hamburg die Verlängerung der vierjährigen Grund- zur sechsjährigen Primarschule per Volksentscheid gestoppt worden.

In Ländern mit erfolgreichen Schulen würden die Schüler in gemeinsamen Klassen individuell gefördert, so Schleicher. Sie würden nicht wie in Deutschland frühzeitig auf verschiedene Schulformen verteilt. "Insbesondere Schüler aus sozial ungünstigen Verhältnissen - wie Eltern ausländischer Herkunft - haben im früh gegliederten System sehr viel schlechtere Bildungschancen", sagte der Leiter der Bildungsabteilung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD).

Was wohl viele Bürger beim Hamburger Volksentscheid beeinflusst habe, sei die Befürchtung, dass begabte Schüler unter einer längeren gemeinsamen Schulzeit leiden würden. "Dafür gibt es aber keinerlei empirische Belege", betonte Schleicher. "Es gibt in Europa kein weiteres Land außer Österreich, das schon ab dem vierten Schuljahr die Schüler trennt", sagte Schleicher. Im gegliederten Schulsystem mit Haupt-, Real- und Gesamtschule oder Gymnasium gebe es die Versuchung, schwierige Schüler einfach auf eine Schulform mit geringeren Leistungsanforderungen zu schicken.
Erfolgreiches Beispiel für längeres gemeinsames Lernen sei Finnland, erklärte der Bildungsexperte. Dort blieben die Schüler bis zum neunten Schuljahr in einer Klasse. Finnland habe nicht nur eine bessere Gesamtleistung der Schulen als Deutschland, sondern auch eine sehr viel stärkere Leistungsspitze. In Finnland werde aber auch jeder Schüler entsprechend seinem Leistungspotenzial gefördert. 30 Prozent des Unterrichtes finde in kleinen Gruppen außerhalb des Klassenverbandes oder sogar im Einzelunterricht statt.

Dabei ist das finnische Bildungssystem nach Angaben Schleichers nicht teurer als das deutsche. Es koste nämlich mehr Geld, einen Schüler eine Klasse wiederholen zu lassen, als ihn angemessen zu fördern. Jeder Sitzenbleiber koste den Steuerzahler 18000 bis 20000 Euro. (rtr)